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Interview mit Evelyn Rath

In ihrem Buch »Zero Waste in Stadt und Land« liefert Evelyn Rath 51 Ideen für Private, Gemeinden und Betriebe, um Müll zu reduzieren oder sogar zu vernichten. Sie stellt sich zu Fragen über ihre Absicht und Hoffnungen.

Urs Heinz Aerni: Zero Waste ist in aller Munde und ein präsentes Thema in den Medien. Nun wurde Ihr schönes Buch veröffentlicht. Es scheint, Sie sehen noch einigen Handlungsbedarf?

Evelyn Rath: Zero Waste hat sich in den letzten sieben Jahren tatsächlich zum Trendthema entwickelt. Immer mehr Unverpacktläden entstehen und auch der konventionelle Handel passt sein Angebot langsam an. Das ist im Prinzip gut so. Nachhaltigkeit darf durchaus attraktiv sein.

Aerni: Aber?

Rath: Wir müssen ehrlich zugeben: Der Einkauf mit der Stofftasche wird die Welt nicht retten.

Aerni: Besteht nicht die Gefahr, dass Zero Waste zu einer Art Lifestyle verkommt?

Rath: Zero Waste ist mehr als ein moderner Lebensstil – es ermöglicht auch einen ganzheitlichen Zugang zum Thema »Verschwendungsvermeidung«. Nicht nur das Konsumverhalten jedes Einzelnen und jeder Einzelnen muss sich ändern, sondern es muss ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden. Nachhaltigkeit ist immer Teamarbeit. Wir benötigen innovative Lösungen aus der Wirtschaft, damit Ressourcenschonung überhaupt erst umsetzbar wird. Und wir brauchen eine Politik, die den entsprechenden Rahmen setzt. Diese Forderungen klingen abstrakt, aber in unserem direkten Umfeld, in unseren Städten und Gemeinden, können sie mit Leben gefüllt werden.

Aerni: Doch wie?

Rath: Im Kleinen lässt sich erproben, was sich später auch im Großen umsetzen lässt. Wenn die Bürgermeisterin der niederösterreichischen Stadt St. Valentin den Ort zur »plastikfreien Gemeinde« erklärt, dann ist das ein starkes politisches Signal. Damit ist aber auch klar, dass dieses Vorhaben die tatkräftige Unterstützung der lokalen Betriebe, der Vereine und der Bürger und Bürgerinnen braucht. Also setzt man sich zusammen, schmiedet Pläne und beginnt mit der Umsetzung.

Aerni: Sie machen mir einen zuversichtlichen Eindruck.

Rath: Das Interesse, Abfall zu vermeiden, ist ja bei den meisten Menschen generell vorhanden. Klimawandel, Plastikmüll oder Lebensmittelverschwendung – diese Themen werden von den Medien immer wieder aufgegriffen. Aber wie der Sprung vom Wollen zur tatsächlichen Verhaltensänderung gelingt, diese Frage bleibt meist offen. Daher war es mir wichtig, ganz konkrete Maßnahmen aufzuzeigen.

Aerni: Es ist ein Buch mit großem Praxisbezug in allen Bereichen in unserer Gesellschaft, vom Gesundheitswesen über die Kulturbranche bis hin zur Gastronomie. Und auch die Kirche wird angesprochen. Unter uns, wäre nicht gerade hier noch mehr nötig, wo ja von der Schöpfung gesprochen wird?

Rath: Bei diesem Thema denken die meisten Menschen üblicherweise nicht an die Kirche. Ich wollte in meinem Buch das Potenzial aller gesellschaftlicher Gebiete, also auch das von Kirchengemeinschaften oder dem Kulturbereich, aufzeigen. Wir sind ja in allen Lebensbereichen mit Abfall und Verschwendung konfrontiert, und überall können wir an Verbesserungen arbeiten.

Aerni: Wie erleben Sie die angesprochenen Kreise diesbezüglich?

Rath: Tatsächlich erlebe ich Kirchengemeinschaften als sehr offen für Nachhaltigkeitsthemen. In allen Religionen gibt es eine Schöpfungsverantwortung, also eine Verpflichtung zum Schutz von Umwelt und Natur. Da das Leben auf der Erde – also die Schöpfung – immer mehr bedroht wird, ist umweltbewusstes Handeln praktisch alternativlos. Ich habe immer wieder hochengagierte Menschen kennengelernt, die sehr lösungsorientiert nach verschwendungsfreien Alternativen suchen. Das reicht vom Pfarrfest, bei dem ausschließlich Mehrweggeschirr verwendet wird, bis zum ökologischen Friedhof ohne Wegwerf-Grablichter.

Aerni: War diesbezüglich nicht auch etwas aus Rom vernommen worden?

Rath: Die Umweltenzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus ist absolut bemerkenswert. Mit den darin enthaltenen Forderungen können sich wohl auch die Aktivisten und Aktivistinnen der Fridays-for-Future-Bewegung identifizieren.

Aerni: Sie leben mit Ihrer Familie so, dass die Müllabfuhr bei Ihnen fast nicht mehr halten muss. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für sich im Alltag?

Rath: Mit ein wenig Wissen und gutem Willen ist ein – fast – müllfreies Leben durchaus möglich. Aber es erfordert heute noch ein großes Maß an Kreativität und Mut, gegen den Strom zu schwimmen.

Aerni: Könnten Sie konkrete Beispiele nennen?

Rath: Die größten Herausforderungen sehe ich in zwei Bereichen. Da gibt es strukturelle Hürden: Wenn die Waschmaschine nur für drei Jahre konzipiert ist, und eine Reparatur entweder nicht möglich oder nicht leistbar ist, dann stoßen auch umweltbewusste Privatpersonen an ihre Grenzen. Wenn bei einer öffentlichen Veranstaltung ausschließlich Einweggeschirr verwendet wird, verursache ich gegen meinen Willen Abfall.

Aerni: Es gilt also, die Normalität oder das Übliche neu zu definieren?

Rath: Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass verschwenderisches und konsumorientiertes Verhalten »normal« ist. Wer wenig Abfall verursachen möchte, muss daher permanent Tabus brechen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Am Beginn des Schuljahres müssen Volksschüler und Volksschülerinnen Küchenrollen für das Malen mit Wasserfarben mitbringen. Wer stattdessen ein waschbares Geschirrtuch als »Malfetzen« bringt, der eckt an und bricht eine Norm. Zu Weihnachten ein gebrauchtes, aber neuwertiges Buch zu schenken, wird als unhöflich oder geizig angesehen. Ein Verlegenheitsgeschenk wie eine völlig unnötige Duftkerze in Zellophanverpackung mitzubringen, gilt hingegen als wertschätzend. Wir brauchen daher zuallererst ein gesellschaftliches Umdenken, also ein neues Verständnis von Normalität. Darauf aufbauend muss der strukturelle Wandel geschehen. Und irgendwann wird ein ressourcenschonendes Leben zur neuen Selbstverständlichkeit. Keinen Müll zu verursachen wird einfach, Abfall zu hinterlassen schwierig.

Aerni: Das Buch spricht ganz unterschiedliche Gesellschaftskreise an und Sie schreiben, dass eine Welt ohne Müll keine Utopie sein muss. Ich zweifle etwas. Zu Unrecht?

Rath: Der provokante Begriff »Zero Waste«, der gerne mit »null Abfall« übersetzt wird, beschreibt keinen Zustand, sondern einen Weg. Eine Welt ohne Müll ist als Vision, als Einladung zu verstehen. Es ist ein Ideal, welches wir uns vor Augen halten sollten. Wenn unsere Gesellschaft weitermacht wie bisher, dann werden sich die Plastikabfälle bis 2040 verdreifachen – mit allen damit einhergehenden Problemen. Wir tun also gut daran, diese provokante Null als Orientierung zu verstehen und uns ihr Schritt für Schritt zu nähern.

Aerni: Und genau hier setzt mein Skeptizismus ein ...

Rath: Keine Frage, es steht uns ein weiter Weg bevor. Entscheidend ist aber, dass die Richtung stimmt. Der genaue Weg zu einer möglichst verschwendungsfreien Gesellschaft ergibt sich, während wir daran arbeiten. Wie weit wir uns dem Ideal einer »Zero-Waste-Gesellschaft« nähern können, wird sich zeigen. Ich bin davon überzeugt, dass es aber immer noch ein bisschen weitergeht, als wir uns vorstellen können. Lassen wir es doch darauf ankommen und überraschen wir uns selbst. Insofern sehe ich das Prinzip Zero Waste als Vision und als ein Lösungsmodell für eine lebenswerte Zukunft.

Aerni: Keine Utopie?

Rath: Eine Utopie ist es hingegen, weiterzumachen wie bisher, den Planeten auszubeuten und dabei auf ein immer besseres Leben zu hoffen. Dann wird es ein böses Erwachen geben.

Aerni: Nehmen wir mal an, Sie steigen aus dem Bus, um an einer Veranstaltung mit Ihrem Buch in der hiesigen Buchhandlung zu bestreiten. Unterwegs überfällt Sie das Bedürfnis nach Wasser und der einzige Laden, der offen hat, ist ein klassischer Lebensmittelladen. Was kaufen Sie dann?

Rath: Auf diese strukturellen Hürden bin ich mittlerweile vorbereitet, daher habe ich unterwegs immer eine leichte Edelstahlflasche mit. Wenn ich mein selbst abgefülltes Wasser schon getrunken hätte, würde ich mir im nächsten Gasthaus oder Café ein Getränk in meine Flasche abfüllen lassen. Es gibt immer Alternativen, aber es ist zweifellos nicht immer einfach! Zum Glück steigt auch das Mehrwegangebot an Getränken im Handel – langsam, aber immerhin. Meine Hoffnung ist, dass das Abfallvermeiden irgendwann tatsächlich einfacher sein wird als das Abfallverursachen.

Aerni: Das Buch ist eine sehr schön gemachte Handfibel im Alltag. Wo soll ich das Buch am besten aufbewahren?

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Rath: Ich würde mir wünschen, dass Sie das Buch immer griffbereit hätten. Dass Sie es wieder und wieder zur Hand nehmen, nachschlagen, sich inspirieren lassen, um gemeinsam mit anderen Menschen eigene Ideen zu entwickeln. Schön wäre es, wenn es richtiggehend herumgereicht und »aufgearbeitet« würde. Und wenn Sie meinen, dass Sie es ausgelesen haben, dann stellen Sie das Buch bitte nicht einfach ins oberste Regal, sondern schenken Sie es weiter. Verwenden statt verschwenden – dieses Motto soll auch für mein Buch gelten.

Aerni: Ihr Buch wird ein wichtiges sein, in der Debatte über unseren Umgang mit Ressourcen und Abfall. Wie zuversichtlich sind Sie?

Rath: Ich hoffe sehr, dass das Buch nicht nur die Debatte anregt, sondern vor allem den Einstieg ins Handeln erleichtert. Geredet wird viel. »Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel spürt, und die letzte, die daran etwas verändern kann.« Diesen und andere Sätze hören wir seit Jahren. Ich lasse im Buch verschiedenste Pioniere zu Wort kommen, die zeigen, dass die konsequente Vermeidung von Verschwendung möglich ist und viele Vorteile mit sich bringt. Aus meiner Arbeit mit Entscheidungsträgern weiß ich, dass das Thema begeistern kann, und aus dieser Motivation ergeben sich echte Verhaltensänderungen.

Aerni: Was wünschen Sie sich mit diesem Buch?

Rath: Mein Wunsch ist es, dass auch durch dieses Buch bei möglichst vielen Menschen der Funke überspringt. Ja, ich bin durchaus sehr zuversichtlich, dass es Personen in verschiedenen gesellschaftlichen Positionen dazu ermutigt, verschwendungsfreie Wege einzuschlagen.